10.05.2017 „Bei unserem DSL-Kundenservice stecken wir in einem Prozess“

Lahme Internetverbindungen, miese Hotlines und Wettbewerbsnachteile: Telefónica hat bei seiner deutschen Mobilfunktochter O2 einige Baustellen. Und ein Problem lässt sich nur mit der Bundesregierung lösen.

Blau ist die Farbe von Telefónica, Grün war die Farbe von E-Plus. Die Frage, welche von beiden ihm besser gefällt, umschifft Markus Haas. Der Deutschland-Chef von Telefónica hat in den vergangenen Jahren nach der Übernahme von E-Plus an der Zusammenführung der beiden Unternehmen gearbeitet. Für die Nutzer war und ist das zuweilen etwas ruckelig. Das soll sich ändern, verspricht Haas im Interview.

Die Welt: Herr Haas, Ihre Aufgabe ist es, den Blauen Mobilfunker Telefónica und seine Marke O2 mit der grünen E-Plus zusammenzuführen. Wie kommen Sie voran?

Markus Haas: Es gab in dieser Branche bislang keine Fusion, die so schnell ging wie unsere. Wir liegen also voll im Plan und müssen quasi nur noch etwas aufräumen. Insbesondere die Netzintegration ist aufwendig, weil wir jede der 25.000 Antennenstandorte technisch modernisieren müssen und rund 14.000 überzählige Stationen aus dem Netz nehmen. Aber bis Ende des Jahres sind wir auch damit weitgehend fertig.

Die Welt: Welche Farbe gefällt Ihnen besser: Blau oder Grün? Zumindest bei Ihrem Anzug haben Sie sich für Blau entschieden.

Haas: Das liegt daran, dass es so wenige grüne Anzüge gibt, in denen ein CEO herumlaufen könnte. Aber im Ernst: Wir haben unsere Farben bereits im Oktober 2014 abgelegt. Jetzt haben wir uns auf zwei Marken festgelegt: O2 und Blau. Dabei ist Blau eigentlich eine grüne Marke, weil sie als Mobilfunk-Discounter noch von E-Plus in den Markt eingeführt wurde. Mir gefallen aber sowohl Blau als auch Grün gut.

Die Welt: Sie scheinen aber jenseits des Netzes noch einiges zu tun zu haben. Wir haben vor dem Interview Ihre Hotline getestet. Das Ergebnis war verheerend.

Haas: Was ist passiert?

Die Welt: Unsere Leitung wurde mehrfach nach einer einstündigen Wartezeit unterbrochen.

Haas: Ich vermute, dass Sie sich auf unseren DSL-Kundenservice beziehen. Hier stecken wir in der Tat in einem Prozess, weil wir diesen Kundenservice von externen Anbietern zurück ins Haus holen. Hier stocken wir gerade mit mehr Personal auf. Im Mobilfunk haben wir das bereits hinter uns. Wir haben je nach Produkt unterschiedliche Hotlines. 80 Prozent der Mobilfunk-Nutzer, die sich an unsere Callcenter wenden, warten für eine Dauer, die sich im niedrigen einstelligen Minutenbereich bewegt. Wir wollen mit unserem DSL-Service bis Mitte des Jahres auf dem Stand sein, den wir jetzt beim Mobilfunk haben.

Die Welt: Es ist fast egal, wen man fragt, jeder kann von haarsträubenden Erfahrungen mit dem Service von Telekom-Anbietern berichten. Warum tut sich diese Industrie so schwer im Umgang mit ihren Nutzern?

Haas: Ich glaube schon, dass wir wissen, was guter Kundenservice ist. Ich will hier nicht über unsere Wettbewerber sprechen. Aber wir haben natürlich immer noch viel Komplexität in unseren Produkten. Hier kommen – im Gegensatz zu anderen Branchen – Netz, Endgerät, Tarif und regelmäßige Rechnungsstellung zusammen. Bei Ihrer Versicherung oder Ihrem Stromanbieter haben Sie diese Komplexität nicht. Die Dienste sind nicht immer so einfach, wie ich mir das als Kunde wünschen würde. Da hat unsere Branche noch Nachholbedarf. Wir arbeiten an solchen einfachen Lösungen.

Die Welt: Manchmal ist es nicht nur der Service, der nicht stimmt, sondern das Produkt. Die Bundesnetzagentur bemängelt, dass viele Nutzer die von den Anbietern versprochenen Internetgeschwindigkeiten nicht bekommen.

Haas: Wir stellen bei den Nutzern unserer schnellen VDSL-Zugänge von bis zu 50 Megabit pro Sekunde und in einigen Regionen von bis zu 100 Megabit pro Sekunde eine sehr hohe Zufriedenheit fest. Acht von zehn Neukunden wählen dieses Produkt. Die Wechselrate ist hier sehr überschaubar. Es gibt in der Branche allerdings noch viele Prozessschritte, um angeschlossen zu werden. Da muss häufig noch ein Techniker kommen, und dieser Prozess ist über alle Anbieter nicht so einfach, wie Kunden sich das wünschen.

Die Welt: Trotzdem wird bemängelt, dass oft die Höchstgeschwindigkeit nicht zur Verfügung steht.

Haas: Die VDSL-Technologie, die wir nutzen, gibt hier ein ehrliches Kundenversprechen ab. Die signifikantesten Abweichungen im Geschwindigkeitsbereich gab es bei den Messungen, die Sie angesprochen haben, bei alternativen Technologien zu VDSL. Der Brite Tim Berners-Lee entwickelte im Alter von 33 Jahren das Projekt eines weltweiten Netzes. Das war 1988. Jetzt wurde er mit dem Axel Springer Award 2017 ausgezeichnet.

Die Welt: Im Mobilfunk erreichten sogar nur fünf Prozent die maximale Datengeschwindigkeit.

Haas: Mehr als 80 Prozent waren aber nach eigenen Angaben mit ihrer Geschwindigkeit zufrieden.

Die Welt: Die Netzagentur bereitet Maßnahmen vor, um die Versprechen auch durchzusetzen. Können Strafen helfen?

Haas: Wir leben im Wettbewerb der Infrastrukturen. Wir müssen sehen, was am Ende entschieden wird. Derzeit läuft eine Anhörung dazu. Es ist gut, hier mehr Transparenz zu schaffen, auch um aufzuzeigen, was noch getan werden muss. Wir investieren aber kontinuierlich in die Netze und sehen daher auch keinen Handlungsdruck durch die Netzagentur. Sanktionen sind eher kontraproduktiv.

Die Welt: Ärgert es Sie, dass man immer die Deutsche Telekom und Vodafone nennt, wenn es um die schnellsten Netze geht?

Haas: Wir sehen das sportlich. Wir haben das größte und leistungsfähigste Netz in Deutschland. Und es läuft stabil. Wir bedienen die Hälfte der Konsumenten in diesem Land, damit haben wir erst einmal eine Vollversorger-Aufgabe, bei der es darum geht, ein sehr gutes Kundenerlebnis zu bieten. Wir haben mit den meisten Antennen und den meisten Frequenzen alle Zutaten, auf dieser Grundlage das schönste Netz zu bauen.

Die Welt: Was ist denn das schönste Netz?

Haas: Wenn wir bis Ende des Jahres unser Netz weitgehend konsolidiert haben, könnten wir mit unserer Ausstattung alle Bandbreiten einschalten, die auch unsere Wettbewerber anbieten. Wir kommen hier Schritt für Schritt voran. Zuletzt haben wir sogar einen Rekord geschafft und mit 1,65 Gigabit pro Sekunde den schnellsten Test einer 5G-Vorstufentechnologie in einem Live-Netz in Deutschland durchgeführt.

Die Welt: Die Telekom transportiert künftig einige Musik- und Videodienste ohne Anrechnung des Datenvolumens. Müssen Sie reagieren?

Haas: Hier sieht man, dass der Wettbewerb funktioniert. Wir haben den Start mit dem Tarif O2 Free gemacht, bei dem Nutzer auch nach dem Verbrauch ihres Datenvolumens nicht mehr auf unter ein Megabit pro Sekunde gedrosselt werden. Damit kann der Kunden alle Dienste nutzen, ohne je abgeschaltet zu werden. Die Telekom verfolgt einen anderen Weg. Telekom-Kunden sollen in Zukunft Musik und Videos streamen können, ohne ihr Datenvolumen zu verbrauchen. Entgegen einer früheren Regelung soll diesmal mit mehreren Anbietern kooperiert werden.

Die Welt: Dort sind nur teilnehmende Dienste vom Datenverbrauch ausgenommen. Ist das ein Problem für die Netzneutralität?

Haas: Die Bundesnetzagentur ist dabei, sich das genau anzuschauen. Ich will das hier gar nicht bewerten. Bei uns fallen alle Dienste ohne Ausnahme unter O2 Free.

Die Welt: Offenbar schaffen es die Telekommunikationsunternehmen nicht, über die reine Durchleitung von Daten und Gesprächen hinauszukommen. Die Gewinne fallen häufig bei Anbietern wie Google oder Facebook an, die diese Netze nutzen.

Haas: Wir führen diese Diskussion schon lange. Aber am Ende entscheidet der Kunde, was er nutzen will. Wir haben eine Strategie, wie wir mit Daten Geld verdienen. Ohne Vernetzung gibt es kein digitales Leben. Die gute Nachricht ist, dass die Datennutzung stark zunimmt. Im vergangenen Jahr um mehr als 60 Prozent. Wir brauchen Google und Facebook so, wie sie uns brauchen. In Sachen Netzneutralität haben wir in Europa klare Regeln, mit denen wir umgehen müssen. Wie sich das dann dauerhaft entwickelt, wenn wir in neue Investitionszyklen gehen, muss man sehen.

Die Welt: Die Datennutzung in anderen Ländern ist deutlich höher als in Deutschland. Warum ist das so?

Haas: Die Marktdurchdringung mit Smartphones war bei uns langsamer, was sicherlich auch mit an damaligen Datentarifen lag. Allerdings kamen auch die attraktiven Inhalte bei uns später, damit meine ich vor allem Mediatheken mit Videoinhalten und attraktive Streamingdienste. Aber wir holen auf. Die Dienste sind nun alle verfügbar. Als Nächstes müssen wir uns auf das Internet der Dinge vorbereiten.

Die Welt: Was heißt das?

Haas: So wie wir jetzt eine Datenexplosion sehen, werden wir in Zukunft bei der Zahl der Endgeräte eine Explosion sehen, damit meine ich beispielsweise vernetzte Uhren, Autos oder Brillen. Wenn die eSim kommt, müssen Sie nicht mehr in jedes Gerät eine Sim-Karte einlegen, weil sie schon fest verbaut ist. Wir müssen dann dafür sorgen, dass sich die Dienste einfach und schnell aktivieren und verwalten lassen. Wer hier die beste Lösung bietet, wird das Rennen gewinnen. Wir wollen zum digitalen Knotenpunkt für das Leben unserer Kunden werden. Smartphones machen sparsam beim Kommunizieren. Viele schreiben in Abkürzungen, und für Emotionen gibt es kleine gelbe Emojis. Doch jetzt werden die digitalen Gefühle wieder persönlicher – dank dieser App.

Die Welt: Wie würde Ihr Wunschzettel an die Politik für eine neue Digitale Agenda nach der Bundestagswahl im September aussehen?

Haas: Wir brauchen faire Bedingungen. Wir befinden uns immer noch auf einem Fußballfeld, das gekippt ist. Wir Europäer müssen den Ball bergauf spielen, unsere Wettbewerber können einfach den Ball bergab laufen lassen und ins Tor schieben.

Die Welt: Worauf beziehen Sie sich?

Haas: Wir haben nun zwar einen europäischen Datenschutz-Rahmen. Aber unsere globalen Wettbewerber dürfen eben viel mehr und setzen Themen daher auch viel schneller um. Das ist eine Verzerrung. Wir haben so viele Produktideen, mussten beispielsweise aber erst einmal in Abstimmung mit Datenschützern vier Jahre an einer Plattform arbeiten, die Kundendaten anonymisiert, damit sie überhaupt genutzt werden können. Wir sollten pragmatischer vorgehen und Dinge auch einfach mal ausprobieren dürfen. Etwas mehr Beta-Mentalität würde uns gut zu Gesicht stehen. Bei uns in Deutschland ist alles entweder Schwarz oder Weiß. Dazwischen gibt es nichts. Außerdem sollten wir die Möglichkeit haben, die vorhandenen Investitionsmittel voll auszuschöpfen.

Die Welt: Wer hindert Sie daran?

Haas: Die deutsche Telekommunikationsindustrie hat im Grund schon ein Glasfasernetz komplett finanziert. Wir haben in den vergangenen 17 Jahren 60 Milliarden Euro bezahlt, zum Beispiel über Frequenzauktionen und Mittelabflüsse aus der Roaming-Regulierung. Das Geld fehlt uns jetzt, weil wir es nur einmal ausgeben können. Das wäre ungefähr der Betrag, den wir investieren müssten, um Deutschland im Glasfaserbereich voranzubringen. Andere Länder machen das anders und haben beim Breitbandausbau auch die Nase vorn. Man sollte Lehren aus der Vergangenheit ziehen, um zu schauen, wie man Investitionsanreize in Infrastruktur schaffen kann.

Die Welt: Sie spielen auf die nächste Frequenzauktion an.

Haas: Die Bundesnetzagentur muss Frequenzen nicht versteigern. Ich weiß, dass es hier Interessen des Finanzministers gibt. Aber de facto hat uns dieses Vorgehen als Branche in der Vergangenheit zurückgeworfen.

 

Quelle: @ welt